Menschenrechte, Pressemitteilung

Vor den Winterspielen 2022: Sport und Menschenrechte: Handlungsoptionen für Athlet*innen, Staaten, Verbände und Sponsoren

Berlin, 26. Januar 2022. Kurz vor den Winterspielen in Beijing veröffentlicht Athleten Deutschland das nachfolgende Argumentationspapier, das verschiedene Aspekte der Diskussion zu sportlichen und diplomatischen Boykotten beleuchtet. Ferner geht es auf die Verantwortung und Handlungsoptionen verschiedener Akteure wie Athlet*innen, Staaten und ihren Regierungen, Sponsoren und Nationalen Olympischen Komitees ein. Damit wollen wir den Athlet*innen den Rücken stärken und Druck von ihnen nehmen. Wir zeigen außerdem Wege auf, wie der Sport künftig international und national seiner menschenrechtlichen Verantwortung nachkommen und seine Werte wieder glaubwürdig mit Leben füllen kann.

Ein sportlicher Boykott kommt für uns aus mehreren Gründen nicht in Frage. Er kann theoretisch ein hochwirksames Mittel sein, ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch praktisch nicht umsetzbar. Die Athlet*innen könnten die mächtigste Gruppe in der Welt des Sports sein. Sie sind es aber noch nicht, weil ihre kollektive Selbstorganisation global betrachtet noch erheblicher Fortschritte bedarf.

Sollten Athlet*innen aus ethischen Gründen auf eine Teilnahme verzichten, müssen sie das frei von Angst vor Nachteilen tun können. Es ist auf individueller Ebene legitim, dass sie ihrem Beruf nachgehen und an den Spielen teilnehmen. Für die Athlet*innen besteht keine echte Wahl, sich frei für oder gegen die Spiele zu entscheiden. Daher sollte nicht die Erwartungshaltung an die Athlet*innen herangetragen werden, die individuellen Kosten eines Verzichts auf die Spiele zu schultern.

Vor Ort müssen die Teilnehmenden Bedingungen vorfinden, unter denen sie sich frei und ohne Sorge vor Sanktionen äußern können. Für die Athlet*innen ist es hilfreich, wenn sich Politik und Sport schützend vor die Athlet*innen stellen und sich für den Schutz ihrer Meinungsfreiheit stark machen.

Nicht die Athlet*innen, sondern das IOC trägt Verantwortung für die Vergabe und Durchführung der Spiele. Sie waren von allen Vergabe- und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, hatten keinerlei Mitspracherechte, sind selbst betroffen. Es ist deshalb ungerecht, dass sie Jahre später die Fehler des IOC ausbaden sollen. Das IOC trägt hier die Gesamtverantwortung. Es ist bis heute seiner menschenrechtlichen Verantwortung nicht oder unzureichend nachgekommen (s. Anhang).

Abseits der Menschenrechtsrisiken im Verantwortungsbereich der Olympischen Bewegung fordern wir eine Debatte zu Grenzen und roten Linien bei der künftigen Vergabe und Durchführung der Spiele, damit sich solche Situationen nicht wiederholen. Schweigen ist keine Antwort, will das IOC verloren gegangenes Vertrauen wiederherstellen und den Werten des Sports wieder Leben einhauchen.

Die TOP-Sponsoren, die sich mehrheitlich zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards entlang der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNLP) verpflichtet haben, sollten ihre Sponsoringentscheidungen für eine Organisation wie das IOC, die ihrer menschenrechtlichen Verantwortung bisher unzureichend nachkommt, kritisch reflektieren.

Es ist Aufgabe der Politik zu entscheiden, ob ein diplomatischer Boykott ein wirksames Instrument ist. In jedem Fall sollte die internationale Staatengemeinschaft nicht nur gegenüber China Haltung zeigen, sondern sich national wie international dafür einsetzen, dass Sportverbände künftig ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen.

Die Wahrung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Sportverbänden muss das Fundament der Integrität des Sports und Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Umgang mit der dem Sport zugestandenen Autonomie sein. Somit muss staatliche Sportförderung künftig an die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten der Verbände geknüpft sein.

Wir begrüßen die zahlreichen Bemühungen des DOSB der vergangenen Wochen, Athlet*innen auf die Spiele vorzubereiten und vor Ort angemessene Vorkehrungen für Quarantäne- und Krisensituationen zu schaffen. Wir wünschen uns, dass der DOSB eine klare Haltung zur menschenrechtlichen Verantwortung des Sports einnimmt und international künftig seinen Einfluss geltend macht.

National bietet sich dem DOSB die Chance, als weltweiter Vorreiter mit gutem Beispiel voranzugehen: Eine menschenrechtliche Grundsatzposition sowie ein kohärentes und umfassendes Bekenntnis zu den Menschenrechten könnte wegweisende Grundlage für den deutschen Sport sein, mit der Umsetzung einer Menschenrechtsstrategie seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen und Menschenrechtsrisiken proaktiv entgegenzutreten.

Athleten Deutschland ist hoffnungsvoll gestimmt, dass die künftige Bundesregierung und der DOSB unter neuer Führung national wie international einen gewichtigen Beitrag zur Stärkung von Menschenrechtsaspekten im Sport und damit zur Verwirklichung der Menschenrechte leisten wird.